Kai, ein ruheloser Mann in den Dreißigern,
fühlt sich zu drei Frauen hingezogen, zwischen denen er sich – zunächst – nicht
entscheiden kann: die junge Barbara, die auf einem Hof lebt und für Kai Ruhe
und "Prinzip" bedeutet, aber auch Hemmungen und Scheu; Lilian Dunquerke, das genaue Gegenteil von Barbara und Kai zu
ähnlich, als dass sie zusammen leben könnten; schließlich Maud Philby, die auf angenehme Art Harmonie und Abwechslung
gleichermaßen in Kais Leben bringt.
Kai lässt sich durch seine Freunde Liéven und
Hollstein dazu überreden, wieder Autorennen zu fahren, vor allem das große
Europarennen, welches gleichzeitig zu einem Kampf mit seinem Konkurrenten
Murphy um Maud Philby wird. Kai gewinnt das Rennen
und zugleich auch die Kraft, eine Entscheidung zugunsten Maud Philbys zu treffen, während Barbara sich zu Hollstein
hinwendet und Lilian vermutlich dem Werben eines jungen Rennfahrers nachgeben
wird.
Ich bin zerstreut. Ich habe
nicht mehr Eines fest in der Hand, sondern Vieles gleitet um mich her; – aber
ich halte keins und will auch keins halten. Manchmal habe ich das Gefühl, daß ich balanciere – rechts die Stille, links die Unruhe –,
daß ich zum letzten Male fast balanciere; – und daß eine Entscheidung wartet. [...]
Ich
habe bis heute einem Kreuzweg mit unbehaglicher Scheu aus dem Wege gelebt und
habe gesehen, daß ich es doch nicht kann. Ich muß mich entscheiden, wie mein Leben weiterläuft. Früher
glaubte ich: immer so wie jetzt. Nun bin ich ungewiß
geworden; ich beginne Grenzen zu lieben – wenigstens aber, sie mit andern Augen
zu sehen. Früher empfand ich sie hemmend; heute begreife ich, daß sie konzentrieren können. Es ist da ein Komplex: Ruhe,
Stille, Scholle, vielleicht auch eine Frau – Arbeit, freiwilliges Wurzeln,
Ausbreiten, Pflichten –, das Dauernde – Sie wissen, daß
es auch da einer begreifbaren Auffassung gibt: Dasein vom Zentrum her, nicht
von der Peripherie – Radius, nicht Tangente. [...]
Das
Dasein gab große Erlebnisse und Erschütterungen immer nur im Vorübergehen; wer
sich daran klammerte, zerbrach sich oder das Erlebnis. Nur wer das Mittlere als
das Dauernde ansah und sich stets wieder darauf zurückzog, blieb bereit zum
Elementaren.
Station am Horizont erschien
als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift Sport im Bild in sieben Folgen,
beginnend am 25. November 1927, die letzte Folge erschien am 17. Februar 1928.
In 15 Kapitel unterteilt, umfasst der Roman etwa 52 Zeitungsseiten. Remarque
war zu dieser Zeit als Chefredakteur bei Sport im Bild tätig und schrieb
mit Station am Horizont einen für das »Blatt der guten Gesellschaft«
typischen Roman, der Elemente des Sports (hier Autorennen) mit Elementen des
gehobenen Lebens verband.
Dennoch ist Station am Horizont weder nur ein Rennfahrerroman noch nur
eine Liebesgeschichte. Wie auch in vielen anderen Texten aus Remarques
sogenanntem »Frühwerk«
spielt die Suche nach innerer Ruhe und Gewissheit, das »Richtige« zu tun, eine
große Rolle. So stehen nicht nur die Autorennen einschließlich der Beschreibung
des Trainings in allen Einzelheiten parallel zu den sich entwickelnden und
wechselnden Beziehungen zwischen den Hauptfiguren dieses Romans, sondern
verlegen die in den zwischengeschobenen langen Gesprächen über das Leben und
die Liebe geäußerten Befindlichkeiten, Wünsche etc. sozusagen in die Realität.
Interessant ist hierbei sicherlich, dass Remarque sich nicht nur dieses Mittels
der Symbolik bedient, sondern seinen Haupthelden Kai auch darüber reflektieren
lässt, indem er sich eine bestimmte Rennstrategie ausdenkt, die zugleich auch
die Strategie des Kampfes um Maud Philby sein soll.
Kai ist sich ständig dieser Parallelität von äußerem Geschehen und inneren
Gemütszuständen bzw. zwischenmenschlichen Regungen bewusst und versucht
entsprechend zu reagieren.
Durch dieses ständige Reflektieren des eigenen Standpunktes gewinnt der Roman
an Tiefe und lässt somit das Renngeschehen, welches in der Rezeption und durch
den publizistischen Hintergrund bedingt häufig in den Vordergrund gerät, in den
Hintergrund treten, zugunsten einer Auseinandersetzung mit seiner (Kais)
eigenen Person, seinen Wünschen und Zielen, bis er endlich eine Entscheidung
treffen kann.
Obwohl Remarque nicht nur eine bereits publizierte Geschichte – Das Rennen Vanderveldes
– nahezu komplett integriert, sondern zudem in dem 1961 publizierten Roman Der
Himmel kennt keine Günstlinge die Rennfahrerthematik wieder aufgreift,
erschien Station am Horizont erst 1998 in einer Buchausgabe und hat erst
dann Eingang in die Wirkungsgeschichte bzw. Rezeption genommen.
Thomas F. Schneider. »Nur das Credo eines Snobs? Anmerkungen zu
Station am Horizont«. Erich Maria Remarque. Station am Horizont.
Roman.
Herausgegeben von Thomas F. Schneider und Tilman Westphalen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, 217–229.
Nanda Fischer. »The Eternal Player
of ›From Bescia to Brescia‹. E. M. Remarque’s Novels
on Car Racing«. Aethlon: The
Journal of Sport Literature 17
(2000), 117–126.
Thomas
F. Schneider. »Die andere Liebe. Anmerkungen zu den Erzählungen und Essays von
Erich Maria Remarque«. Erich Maria Remarque.
Herbstfahrt
eines Phantasten. Erzählungen und Essays. Mit Erläuterungen und einem
Nachwort herausgegeben von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2001 (KiWi 652), 303–317.
Brian Murdoch. The Novels of
Erich Maria Remarque. Sparks of Life. Rochester/NY, Woodbridge: Camden
House, 2006, 195–224.
Thomas
F. Schneider. »Rechts die Stille, links die Unruhe. Erich Maria Remarques dritter
Roman Station am Horizont«.
Erich
Maria Remarque. Station am Horizont. Roman. In der Fassung der Erstausgabe mit Anhang und einem
Nachwort herausgegeben von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch,
2020 (KiWi 1740), 298–317.