Ein vielgelesener Chronist der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts -  Neuerscheinungen zum 50. Todestag von Erich Maria Remarque :  literaturkritik.dehttps://images-na.ssl-images-amazon.com/images/I/41BKHSTGSAL.jpg

Station am Horizont

Roman

 

Erstdruck: Erich Maria Remarque. »Station am Horizont«. Sport im Bild (Berlin) 33 (1927), Nrr, 24–26 – 34 (1928), Nrr. 1–4.

Deutschsprachige Erstausgabe: Erich Maria Remarque. Station am Horizont. Roman. Ed.: Thomas F. Schneider + Tilman Westphalen, afterword: Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998.

Aktuelle Ausgabe: Erich Maria Remarque. Station am Horizont. Roman. In der Fassung der Erstausgabe mit Anhang und einem Nachwort herausgegeben von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2020 (KiWi 1740).

 

 

 


Inhaltszusammenfassung

Kai, ein ruheloser Mann in den Dreißigern, fühlt sich zu drei Frauen hingezogen, zwischen denen er sich – zunächst – nicht entscheiden kann: die junge Barbara, die auf einem Hof lebt und für Kai Ruhe und "Prinzip" bedeutet, aber auch Hemmungen und Scheu; Lilian Dunquerke, das genaue Gegenteil von Barbara und Kai zu ähnlich, als dass sie zusammen leben könnten; schließlich Maud Philby, die auf angenehme Art Harmonie und Abwechslung gleichermaßen in Kais Leben bringt.
Kai lässt sich durch seine Freunde Liéven und Hollstein dazu überreden, wieder Autorennen zu fahren, vor allem das große Europarennen, welches gleichzeitig zu einem Kampf mit seinem Konkurrenten Murphy um Maud Philby wird. Kai gewinnt das Rennen und zugleich auch die Kraft, eine Entscheidung zugunsten Maud Philbys zu treffen, während Barbara sich zu Hollstein hinwendet und Lilian vermutlich dem Werben eines jungen Rennfahrers nachgeben wird.

 

Auszug aus Station am Horizont (1636 /26, 219/4)

Ich bin zerstreut. Ich habe nicht mehr Eines fest in der Hand, sondern Vieles gleitet um mich her; – aber ich halte keins und will auch keins halten. Manchmal habe ich das Gefühl, daß ich balanciere – rechts die Stille, links die Unruhe –, daß ich zum letzten Male fast balanciere; – und daß eine Entscheidung wartet. [...]

Ich habe bis heute einem Kreuzweg mit unbehaglicher Scheu aus dem Wege gelebt und habe gesehen, daß ich es doch nicht kann. Ich muß mich entscheiden, wie mein Leben weiterläuft. Früher glaubte ich: immer so wie jetzt. Nun bin ich ungewiß geworden; ich beginne Grenzen zu lieben – wenigstens aber, sie mit andern Augen zu sehen. Früher empfand ich sie hemmend; heute begreife ich, daß sie konzentrieren können. Es ist da ein Komplex: Ruhe, Stille, Scholle, vielleicht auch eine Frau – Arbeit, freiwilliges Wurzeln, Ausbreiten, Pflichten –, das Dauernde – Sie wissen, daß es auch da einer begreifbaren Auffassung gibt: Dasein vom Zentrum her, nicht von der Peripherie – Radius, nicht Tangente. [...]

Das Dasein gab große Erlebnisse und Erschütterungen immer nur im Vorübergehen; wer sich daran klammerte, zerbrach sich oder das Erlebnis. Nur wer das Mittlere als das Dauernde ansah und sich stets wieder darauf zurückzog, blieb bereit zum Elementaren.

 

Kontext / Analyse zu Station am Horizont

Station am Horizont erschien als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift Sport im Bild in sieben Folgen, beginnend am 25. November 1927, die letzte Folge erschien am 17. Februar 1928. In 15 Kapitel unterteilt, umfasst der Roman etwa 52 Zeitungsseiten. Remarque war zu dieser Zeit als Chefredakteur bei Sport im Bild tätig und schrieb mit Station am Horizont einen für das »Blatt der guten Gesellschaft« typischen Roman, der Elemente des Sports (hier Autorennen) mit Elementen des gehobenen Lebens verband.
Dennoch ist Station am Horizont weder nur ein Rennfahrerroman noch nur eine Liebesgeschichte. Wie auch in vielen anderen Texten aus Remarques sogenanntem »Frühwerk« spielt die Suche nach innerer Ruhe und Gewissheit, das »Richtige« zu tun, eine große Rolle. So stehen nicht nur die Autorennen einschließlich der Beschreibung des Trainings in allen Einzelheiten parallel zu den sich entwickelnden und wechselnden Beziehungen zwischen den Hauptfiguren dieses Romans, sondern verlegen die in den zwischengeschobenen langen Gesprächen über das Leben und die Liebe geäußerten Befindlichkeiten, Wünsche etc. sozusagen in die Realität.
Interessant ist hierbei sicherlich, dass Remarque sich nicht nur dieses Mittels der Symbolik bedient, sondern seinen Haupthelden Kai auch darüber reflektieren lässt, indem er sich eine bestimmte Rennstrategie ausdenkt, die zugleich auch die Strategie des Kampfes um Maud Philby sein soll. Kai ist sich ständig dieser Parallelität von äußerem Geschehen und inneren Gemütszuständen bzw. zwischenmenschlichen Regungen bewusst und versucht entsprechend zu reagieren.
Durch dieses ständige Reflektieren des eigenen Standpunktes gewinnt der Roman an Tiefe und lässt somit das Renngeschehen, welches in der Rezeption und durch den publizistischen Hintergrund bedingt häufig in den Vordergrund gerät, in den Hintergrund treten, zugunsten einer Auseinandersetzung mit seiner (Kais) eigenen Person, seinen Wünschen und Zielen, bis er endlich eine Entscheidung treffen kann.
Obwohl Remarque nicht nur eine bereits publizierte Geschichte – Das Rennen Vanderveldes – nahezu komplett integriert, sondern zudem in dem 1961 publizierten Roman Der Himmel kennt keine Günstlinge die Rennfahrerthematik wieder aufgreift, erschien Station am Horizont erst 1998 in einer Buchausgabe und hat erst dann Eingang in die Wirkungsgeschichte bzw. Rezeption genommen.

 

Weiterführende Literatur (chronologisch)

Thomas F. Schneider. »Nur das Credo eines Snobs? Anmerkungen zu Station am Horizont«. Erich Maria Remarque. Station am Horizont. Roman. Herausgegeben von Thomas F. Schneider und Tilman Westphalen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, 217–229.

Nanda Fischer. »The Eternal Player of ›From Bescia to Brescia‹. E. M. Remarque’s Novels on Car Racing«. Aethlon: The Journal of Sport Literature 17 (2000), 117–126.

Thomas F. Schneider. »Die andere Liebe. Anmerkungen zu den Erzählungen und Essays von Erich Maria Remarque«. Erich Maria Remarque. Herbstfahrt eines Phantasten. Erzählungen und Essays. Mit Erläuterungen und einem Nachwort herausgegeben von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2001 (KiWi 652), 303–317.

Brian Murdoch. The Novels of Erich Maria Remarque. Sparks of Life. Rochester/NY, Woodbridge: Camden House, 2006, 195–224.

Thomas F. Schneider. »Rechts die Stille, links die Unruhe. Erich Maria Remarques dritter Roman Station am Horizont«. Erich Maria Remarque. Station am Horizont. Roman. In der Fassung der Erstausgabe mit Anhang und einem Nachwort herausgegeben von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2020 (KiWi 1740), 298–317.