Fritz Schramm, Osnabrücker Dichter und
Maler, 38 Jahre alt, an einem Lungenleiden erkrankt, empfängt in seiner
Dachwohnung, die »Die Traumbude« genannt wird, junge Menschen, die ebenfalls
künstlerisch ambitioniert sind. Zu ihnen gehören Fried und Paulchen (Paula),
die sich zu ähnlich sind, um sich lieben zu können, Trix Bergen aus Rostock,
die auf der Suche nach dem Glück ihr Elternhaus verlassen hat - vor allem aber
Ernst Winter und Elisabeth Heindorf.
Ernst, ein 23jähriger Komponist verbringt die meiste Zeit in anderen Städten,
um dort zu studieren. Während eines Urlaubs in Osnabrück lernt er die junge
Elisabeth kennen und lieben, ist aber nicht reif genug, diese Liebe auch schon
zu leben. Er fährt nach Leipzig, wo er mit der Opernsängerin Lanna Reiner ein Verhältnis beginnt, welches mehrere Monate
andauert.
Unterdessen wächst Elisabeth zu einer reifen Frau heran. Sie erinnert Onkel
Fritz an dessen verstorbene Liebe Lu, zu der Fritz aber durch unglückliche
Umstände nie stehen durfte. Durch die Bekanntschaft mit Elisabeth lebt Onkel
Fritz noch einmal auf und kann durch diese Kraft auch Trix Bergen mit ihren
Eltern versöhnen sowie Elisabeth davon überzeugen, dass Ernst eines Tages zu ihr
zurückkehren wird.
Nach einigen Monaten erkrankt Fritz ernsthaft und stirbt bald darauf. Nachdem
Ernst durch die Nachricht vom Tode Fritz' »aufgewacht« ist und seine Beziehung
zu Lanna beendet hat, reist er zurück nach Osnabrück
und erkrankt an hohem Fieber. Nach seiner Genesung schreibt er ein
musikalisches Werk zur Erinnerung an Fritz und findet durch diese Art
Selbstreinigung zu Elisabeth.
»Kinder
– ich muß nun wohl von Euch gehen – es wird mir
schwer. Habt Halt in Euch! Hört mein Wort – sucht das Glück nicht in der Welt –
das Glück ist in Euch – seid Euch treu – und geht vom gefundenen Ich den
seligen Weg zum Du – und dann zum All – die blaue Verschwisterung – alle sind
Eure Brüder und Schwestern – Bäume – Wüste – Meer – die Wolke im Abendrot – der
Wind im Wald – nichts ist Trennung und Zwiespalt – alles Einheit und Harmonie –
ewige Schönheit –. Stimmt Eure Seelen nach der großen Harfe – Natur – wenn sie
einmal zerrissen klingen –. Alles fließt –. Verknöchert nicht – alles verstehen
– heißt alles verzeihen –. Es ist viel Bitternis und Rätsel für Menschensinn
auf der Erde – und das Letzte – liegt oft in einer Rose – einem Lächeln – einem
Traum. Ich falte meine müden Hände zum letzten Halt vor der blauen Tiefe –
hinuntergleitend rufe ich Euch zu, die ihr noch in der Sonne geht –: Bleibt
Euch treu –! Laßt uns dieses Glas trinken darauf – es
sei Vermächtnis und Schwur – dieses Glas dem Leben und dem Tode – dem ewigen Es
– und der liebsten Toten -.«
In ihren Wein fielen die Tränen; aber sie tranken die Gläser bis auf die Neige
leer.
Fritz schöpfte Atem und sprach dann leise weiter: »Bleibt zusammen – Ihr findet
Halt in Euch am andern. Und vergeßt der Menschen
nicht. Gebet! Was braucht ihr Dank! Das Bewußtsein
ist Dank genug. Gebet Seelenwerte – die Welt ist arm daran. So mancher ist an
einem guten Wort wieder Mensch geworden, dem Gold nie geholfen hätte –. Sucht
zu den Menschen ein anderes als mechanisches Verhältnis – ein menschliches –
und ihr werdet Schätze finden. Der Mensch ist gut! –. Haltet daran fest –. Die
Traumbude soll – euch gehören – – Lu –« er atmete hastiger – »mein
wundervoller, verschollener Blütentraum in dämmerdunkeln Gärten – versungen – verklungen – bald erlöscht die Kerze – und es
ist alles –«
Remarque verarbeitet in diesem Roman
Erlebnisse aus den Jahren 1915–1916/17, in denen er sich dem sogenannten
»Traumbudenkreis« anschloss, in dessen Mittelpunkt der Osnabrücker Kunstmaler
und Dichter Fritz Hörstemeier stand. Entsprechend
seiner Verehrung für Hörstemeier widmet er seinen
ersten Roman sowohl diesem als auch dessen »verstorbener Liebe Lucile
Dittrichs« (im Roman »Lu«).
Die Stadt Osnabrück, die Remarque durch die Verwendung authentischer
Straßennamen und Orte (Dom, Schölerberg, Große
Straße, Möserstraße, Café Wittekind) als Beispiel
einer Stadt der Mitte zwischen ländlicher Ruhe und Beschaulichkeit und der
modernen Hektik beschreibt, ist nicht nur für Fritz Schramm die letzte Station
auf der Suche nach Ruhe. Auch Ernst Winter kehrt hierher zurück, nachdem er in
Leipzig durch die Affaire mit Lanna
Reiner gereift ist und sich endgültig zu seiner Liebe zu Elisabeth bekennen
kann. Während Lanna Reiner die pure Verführung und
sinnliche Wollust verkörpert, steht Elisabeth für Weiblichkeit, eine reine -
vernünftige, aber nicht vernunftgeleitete - Seele, nach der jeder Mann suche.
Zahlreiche Gespräche über Kunst, Natur und das Leben geben dem Autor die
Gelegenheit, seine Vorlieben für Chopin oder Grieg, die Lyrik Fritz Hörstemeiers sowie Goethes und Eichendorffs ausführlich
dazulegen. Elemente von Empfindsamkeit, Naturalismus, Nietzsches
Naturphilosophie aber auch Ansätze eines »Körperkultes« finden Eingang in die
Beschreibungen. Wie auch in vielen anderen Texten seines Frühwerks bedient
Remarque sich der Elemente zeitgenössischer Philosophie und kultureller
Strömungen, ohne dabei wirklich zu einer ausgereiften und theoretisch
fundierten Weltanschauung zu gelangen. Obwohl Remarque vorgeworfen wurde, durch
die Nähe zum Verlag Die Schönheit und seiner zahlreichen Publikationen in der
gleichnamigen Zeitschrift, in der nachweislich spätere Nationalsozialisten
publizierten, von faschistischer Ideologie selbst nicht weit entfernt zu sein,
finden sich in Die Traumbude neben deutschtümelnden »Beschwörungen« von Geist
und Natur gleichermaßen völkerverständigende Bekenntnisse zu den europäischen
Nachbarländern.
»Die Welt ist schön; aber bei uns ist sie am schönsten. Das ist subjektiv, und
ich weiß, daß der Engländer, Franzose, Spanier, der
das sagt, auch recht hat. Und der Italiener vielleicht noch mehr. Dennoch sage
ich es und habe auch recht!«
Hauptaspekt seines Romans bleibt aber die Suche nach dem Schönen in Kunst,
Kultur und Natur sowie die Erinnerung an seinen Mentor Fritz Hörstemeier.
In deutscher Sprache wurde der Roman nach der Erstveröffentlichung 1920 erst
1998 wieder aufgelegt, lediglich einige wenige Übersetzungen sind erschienen,
so dass der Text - ebenso wie fast das gesamt Frühwerk- heute immer noch nahezu unbekannt ist.
Erich Maria
Remarque. Die Traumbude. Station am Horizont. Die unselbständigen Publikationen
(1916-1968). Bibliographie zusammengestellt von Thomas
F. Schneider und Donald Weiss. Osnabrück:
Universitätsverlag Rasch, 1995 (Schriften des Erich Maria Remarque-Archivs; 9)
[R-A 6.1.2.011].
Richard Arthur
Firda. »Young Erich Maria Remarque: Die Traumbude«.
Monatshefte 71
(1979), 49–55.
Petra Oerke.
»›Geliebter Fritz‹. Entstehung und biographischer Hintergrund von Remarques
erstem Roman Die Traumbude (1920)«. Thomas F. Schneider (ed.). Erich
Maria Remarque. Leben, Werk und weltweite Wirkung.
Osnabrück: Universitätsverlag Rasch, 1998 (Schriften des Erich Maria
Remarque-Archivs 12), 41–56.
Petra Oerke.
»Erläuterungen. Die Traumbude (1920)«. Erich Maria Remarque. Das unbekannte Werk.
Frühe Prosa. Werke aus dem Nachlaß. Briefe und
Tagebücher. Herausgegeben von Tilman Westphalen und Thomas F.
Schneider. Vol. 1: Frühe Romane. Köln:
Kiepenheuer & Witsch,
1998, 563–570.
Brian Murdoch. The Novels of Erich Maria Remarque. Sparks of Life. Rochester/NY, Woodbridge: Camden House, 2006, 1–30.
Thomas F. Schneider »Ein Denkmal. Zu Erich
Maria Remarques erstem Roman Die
Traumbude«. Erich Maria Remarque. Die Traumbude. Ein Künstlerroman. In der
Fassung der Erstausgabe mit Anhang und einem Nachwort herausgegeben von Thomas
F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2020 (KiWi
1742), 295–318.