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Der Feind

Erzählungen

 

Erstdrucke: Erich Maria Remarque in Collier’s (Springfield/OH), 1930 – 1934.

Deutschsprachige Erstdrucke in Neue Freie Presse (Wien), 1931 – 1932.

Erstausgabe: Der Feind. Erzählungen. Tr.: Barbara von Bechtolsheim. Ed. + afterword: Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1995 (KiWi 366).
[enthält Der Feind, Schweigen um Verdun, Karl Broeger in Fleury, Josefs Frau, Die Geschichte von Annettes Liebe, Das seltsame Schicksal des Johann Bartok]

Aktuelle Ausgabe: Erich Maria Remarque. Der Feind. Sämtliche Erzählungen zum Ersten Weltkrieg. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014 (KiWi 1364).
[enthält Jürgen Tamen, Der junge Lehrer, Der Feind, Schweigen um Verdun, Karl Broeger in Fleury, Josefs Frau, Die Geschichte von Annettes Liebe, Das seltsame Schicksal des Johann Bartok, »Ich hab die Nacht geträumet…«, Unterwegs]

 

 


Inhalt

Der Zyklus der Erzählungen Remarques, die sich inhaltlich mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigen, entstand zwischen 1917 und 1934. Hierzu gehören folgende Texte, die sämtlich in der aktuellen Ausgabe enthalten sind:

 

Auszug aus Karl Broeger in Fleury

Die Straße erstreckt sich weiß vor uns und steigt langsam an. Hinter den Wolken kommt der Mond rot und traurig heraus. Allmählich wird er kleiner und heller, bis er silbern auf den amerikanischen Friedhof vor Romagne scheint. Vierzehntausend Kreuze schimmern in dem fahlen Licht. Vierzehntausend Kreuze in Reihen hintereinander – die Augen brennen einem, so verblüffend gerade sind sie, vertikal, diagonal. Unter jedem ein Grab. Auf jedem eine Inschrift: Herbert C. Williams, 1. Leutnant, Chemische Kriegsführung, Connecticut, 13. Sept. 1918 – Albert Peterson, 137. Inf., 35. Div., North Dakota, 28. Sept. 1918 – vierzehntausend – fünfundzwanzigtausend waren es. Getötet bei dem Angriff auf Montfaucon, getötet ein paar Wochen vor dem Frieden. Nur ein Friedhof für so viele. Überall, an Hunderten von Orten, liegen die anderen, die weißen Holzkreuze der Franzosen, die schwarzen der Deutschen.

Mitten unter den vierzehntausend Kreuzen auf dem breiten Hauptweg geht, entfernt und klein, ein einzelner Mann hin und her, hin und her. Das ist bedrückender, als wäre alles still. Karl drängt weiter.

In den Städten spielen Kinder auf den Plätzen. Um sie herum sind Geschäfte, Häuser, Kirchhöfe, Zeitungen, Lärm, Schreie, Straßen, die Welt; aber sie spielen weiter, in ihre schlichten Spiele versunken, spielen wie überall auf der Welt.

»Kinder«, sagt Karl, und in der Dunkelheit sieht man nicht, was mit ihm los ist, »Kinder sind überall gleich, nicht wahr – Kinder wissen noch von nichts –«

Und während ich noch darüber nachdenke und einen Blick auf ihn werfe, dreht er sich zu mir um: »Jetzt mal los, Mann – was stehen wir hier rum und dreht den Kopf um und schaut den ganzen Rest der Reise angespannt aus dem Fenster.

Kontext / Analyse zu den Erzählungen in Der Feind

Remarques Kriegserzählungen haben mit der Ausnahme von Jürgen Tamen, die noch während des Krieges entstand, vor allem die Folgen des Krieges zum Thema und schildern den Ersten Weltkrieg aus der Nachkriegsperspektive. Nicht die eigentlichen Kampfhandlungen und Kriegsgeschehnisse stehen im Vordergrund der Erzählungen, sondern die Kriegsfolgen, die Schäden und Verwüstungen, die der Krieg der Landschaft (in Schweigen um Verdun) und vor allem den Menschen sowohl an der Front als auch in der Heimat zugefügt hat. Remarque setzte mit den Erzählungen die Intention von Im Westen nichts Neues fort, das der Autor selbst »eher als ein Nachkriegsbuch« ansah denn als ein Kriegsbuch.
Remarque schrieb Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück wie auch diese Erzählungen im Sinne einer Gegen-Erinnerung zur marktbeherrschenden, kriegsbejahenden Schilderung des Krieges aus der Perspektive der Offiziere und Nationalisten; einer Gegen-Erinnerung aus der Perspektive der »Generation, die durch den Krieg zerstört wurde, auch wenn sie seinen Granaten entkam«. Remarque wollte kein »Kriegsbuch« schreiben, als welches Im Westen nichts Neues heute noch gilt, sondern sich auf den »rein menschlichen Aspekt der Kriegserfahrung« beschränken.
Die Erzählung Jürgen Tamen entstand 1917/18 noch im Duisburger Lazarett und kennzeichnet Remarques, Bemühen, sich schriftstellerisch mit dem Krieg auseinander zu setzen. Mit Der junge Lehrer von 1920 verarbeitete Remarque seine eigenen Erfahrungen als Lehrer. Dies beiden Texte gehören somit zur Frühphase des Werkes in der Remarque vor allem ein Autor von Kurzprosa und Lyrik war, die er in Zeitschriften und Zeitungen publizierte. Seit Im Westen nichts Neues und dem unmittelbar nach dem Vorabdruck in der Vossischen Zeitung im November und Dezember 1928 einsetzenden Erfolg wurden von Remarque mit wenigen Ausnahmen jedoch keine kurzen Texte mehr veröffentlicht. In mehreren Interviews und privaten Äußerungen betonte Remarque in der Folgezeit, er wolle den überragenden Verkaufserfolg von Im Westen nichts Neues nicht kommerziell durch weitere schnell gefertigte Veröffentlichungen ›ausschlachten‹. Remarque hatte es wohl auch finanziell nicht mehr nötig, sein Einkommen durch weitere Publikationen aufzubessern. Die Publikation der Kriegserzählungen ist somit zwar eine Fortsetzung der schriftstellerischen Tätigkeit Remarques aus der Zeit vor Im Westen nichts Neues, nach den erhaltenen Unterlagen jedoch allein auf die vertragliche Situation zu dem Folgeroman Der Weg zurück (1930) zurückzuführen. Wie dieser Roman erschienen die Erzählungen in den Jahren 1930 bis 1934 weltweit vorrangig in Zeitungen und Zeitschriften. Bislang bekannt sind Veröffentlichungen in Neue Freie Presse (Wien), Daily Mail (London), Collier’s (Springfield/Ohio), Red Book (New York), Nieuw Rotterdamsche Courier (Rotterdam), Correio da Manha (Rio de Janeiro) und Para Usted (Mexico City).
Die Kriegserzählungen gerieten nach ihrer Publikation weitgehend in Vergessenheit, weil keine Buchveröffentlichung erfolgte. Es fehlen daher Leserreaktionen oder Kritiken. Auch die Literaturwissenschaft hat mit Ausnahme einer bibliographischen Erwähnung  die vermutlich zu versteckt veröffentlichten Erzählungen nicht zur Kenntnis genommen. Der ersten Buchpublikation im Jahre 1993 folgten sehr schnell Übersetzungen u.a. ins Russische, Polnische, Französische, Italienische, Ungarische und Norwegische.  Die Erzählungen zählen heute zum anerkannten Werk Remarques als eine bedeutende Ergänzung zur bekannten und vieldiskutierten Schilderung des Ersten Weltkrieges und seiner Folgen in Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück.

 

Weiterführende Literatur (chronologisch)

Studien

 

Thomas F. Schneider. »Nachwort. Versteckt und vergessen. Erich Maria Remarques Nachkriegserzählungen über den Ersten Weltkrieg«. Erich Maria Remarque. Der Feind. Erzählungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1993, 63–76.

Thomas F. Schneider. »Nachwort. Versteckt und vergessen. Erich Maria Remarques Nachkriegserzählungen über den Ersten Weltkrieg«. Erich Maria Remarque. Der Feind. Erzählungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998 (KiWi 496), 63–77.

Thomas F. Schneider. »Nachwort. Versteckt und vergessen. Erich Maria Remarques Nachkriegserzählungen über den Ersten Weltkrieg«. Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Der Feind. Ein Roman und sechs Erzählungen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2005 (KiWi 916), 281–296.

Jurij Varzonin. »Der Feind: Liebe Deinen Nächsten – die Rhetorik eines Christen«. Thomas F. Schneider (ed.). Erich Maria Remarque. Leben, Werk und weltweite Wirkung. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch, 1998 (Schriften des Erich Maria Remarque-Archivs 12), 91–97.

Cynthia Reede, Erich Maria Remarque. De vijand. Verhalen. Antwerpen: Katholieke Vlaamse Hogeschool Antwerpen, 1998 (KVH. Afdeling Vertalers en Tolken) [Diss.], [masch.] 109 pp.

G. Scott Seeger. »Guilty of Violence... by Reason of Humanity. Remarque’s Short Story ›The Enemy‹«. Will Wright, Steven Kaplan (eds.). The Image of Violence in Literature, Media, and Society. Vol. II. Pueblo/CO: Society for the Interdisciplinary Study of Social Imagery, Colorado State University-Pueblo, 2007, 255–260.

Thomas F. Schneider. »›Nur eines haben sie ausgelassen: Nie wieder‹. Erich Maria Remarques Erzählungen über den Ersten Weltkrieg«. Erich Maria Remarque. Der Feind. Sämtliche Erzählungen zum Ersten Weltkrieg. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014 (KiWi 1364), 105–127.

 

Rezensionen

R[olf] S[eliger]. »Neues von Erich Maria Remarque«. tz (München), 04.02.1993 [R-A 8.22.2.003].

[Klaus Modick]. »Ein Weltbürger aus Osnabrück [und Abdruck Schweigen um Verdun]«. Der Spiegel (Hamburg) 47 (1993), Nr. 8 (22.02.1993), 198-210 [R-A 8.22.2.004].

»Erzählungen von Erich Maria Remarque erstmals in Buchform«. dpa. 08.03.1993 [R-A 8.22.2.008].

Rudolf Walter Leonhardt. »Am besten nichts Neues. 'Der Feind' – Erzählungen von Erich Maria Remarque erstmals auf deutsch«. Die Zeit (Hamburg), Nr. 12 (19.03.1993), 73 [R-A 8.22.2.020].

Joachim Kaiser. »Remarque ohne Feind-Bild. Sechs frühe Novellen, in Originalsprache aber nicht original«. Süddeutsche Zeitung (München), 20.03.1993 [R-A 8.22.2.022].

E. Berger. »Von den Folgen des Krieges im Menschen. Erzählungen aus dem Nachlaß von Remarque«. Sächsische Zeitung (Dresden), 16.04.1993 [R-A 8.22.2.03].

Walter Gallasch. »Den Granaten entkommen. Erich Maria Remarque: Geschichten einer zerstörten Generation«. Nürnberger Nachrichten, 15./16.05.1993 [R-A 8.22.2.043].

Thomas Oberender. »Folgen des Krieges. Sechs Remarque-Erzählungen erstmals in deutscher Sprache«. Der Tagesspiegel (Berlin), 08.08.1993 [R-A 8.22.2.071].