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Das gelobte Land

Roman

 

Erstausgabe: Erich Maria Remarque. Das gelobte Land. Roman. Ed.: Thomas F. Schneider, Tilman Westphalen. Ann.: Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998 (Das unbekannte Werk 2).

Aktuelle Ausgabe: Erich Maria Remarque. Das gelobte Land. Roman. Mit einem Nachwort von Tilman Westphalen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2015 (KiWi 1189).

 

 


Inhalt

Das gelobte Land variiert die Handlung des Romans Schatten im Paradies und führt sie fort. Der deutsche Emigrant Ludwig Sommer hat nach langem Exil  in Europa das »gelobte Land« USA erreicht. Hier findet er Kontakt zur Emigrantenszene, arbeitet bei einem Antiquitätenhändler, dann bei einem Kunsthändler und beginnt eine Beziehung mit dem Mannequin Maria Fiola. Am Leben gehalten wird Sommer durch das Ziel, nach Kriegsende Deutschland zurückzukehren und den Mörder seines Vaters zu töten. Ob und in welcher Form dies im Text geschildert werden sollte, bleibt ungewiss, weil Remarque den Text nur bis zu den ersten zeilen von Kapitel XXI fertigestellt hatte, als er am 25. September 1970 in Locarno starb.

 

Auszug

»Weil die Erinnerung ein romantischer Fälscher ist«, sagte ich. »Ein Sieb, das das Grauen durchläßt und vergißt und ein Abenteuer daraus macht. Jeder ist in der Erinnerung ein Held. Über den Krieg könnten eigentlich nur die Toten aussagen; sie haben ihn ganz mitgemacht. Aber sie müssen schweigen

Ravic schüttelte den Kopf. >Der eine fühlt die Schmerzen des anderen nicht«, sagte er. »Das ist es. Seinen Tod auch nicht. Nach kurzer Zeit weiß er nur noch, daß er selbst davongekommen ist. Es ist unsere verdammte Haut, die uns separiert und uns zu egoistischen Inseln macht. Ihr habt es in den Lagern erlebt; der Schmerz um die Toten verhinderte nicht, das Stück Brot hinunterzuschlingen, das man erwischt hatte Er hob sein Glas. »Könnten wir sonst diesen Cognac trinken, während der fette Ansager dort von Menschenverlusten faselt, als wären es Schweinskarbonaden

 

Kontext/Analyse

Die ersten Konzeptionen zu einem Text, der sich thematisch mit – grob umrissen – New York und der dortigen Emigrantenszene beschäftigt, haben ausschließlich biographische Ursachen. Sie gehen zurück auf die Therapie Remarques durch die Psychoanalytikerin Karen Horney seit Mitte 1950. Der unmittelbare Anlass der psychischen Krise Remarques lag in der Trennung von Natasha Paley-Wilson begründet – nach zehn Jahren einer zwar von Schwierigkeiten, wechselnden Liebesverhältnissen und Krisen geprägten, dennoch aber dauerhaften. Karen Horney riet Remarque, diesen Teil seiner psychischen Probleme durch eine Niederschrift und Beschreibung der Beziehung zu bewältigen, die im Laufe des Jahres 1950 zu einem Projekt des Autors mit dem Titel Das Buch N. führten. Ob Remarque zu diesem Zeitpunkt bereits an einen Roman oder lediglich einen autobiographisch gefärbten kürzeren Text dachte, muss ungeklärt bleiben, da sich im New Yorker Nachlass des Autors lediglich einige Tagebuchnotizen und Notizzettel erhalten haben, die zweifelsfrei auf den Zeitraum bis 1952 zu datieren sind.

Aufgrund fehlender Dokumente muss auch ungeklärt bleiben, wann Remarque Das Buch N. zu einem Roman mit der Hauptfigur Natascha Petrowna erweiterte, den autobiographischen Bezug zumindest anklingen ließ und zugleich die Beschreibung des Emigrantenschicksals in den USA hinzufügte. Titel dieses Romanprojektes, das Remarque definitiv 1967 abgeschlossen hatte, war jedoch nicht Schatten im Paradies, sondern New York Intermezzo.

Remarque verwarf ab Februar 1968 die bereits vorliegende, möglicherweise abgeschlossene Fassung des Romans New York Intermezzo, tilgte auch die nur für Eingeweihte erkenntlichen autobiographischen Bezüge, indem er die weibliche Protagonistin nun zunächst Luciana Coleman, dann Maria Fiola taufte (und damit zu dem Grafen und Beifahrer des Protagonisten Kai aus Station am Horizont, Fiola, namentlich zurückkehrte), legte den Schwerpunkt des Textes auch auf eine Diskussion der Vergänglichkeit und des Todes und konzipierte spätestens seit September 1968 (kenntlich an der Niederschrift der Notizen auf einem gestempelten Briefumschlag) ein tragisches Ende für den Protagonisten Ludwig Sommer.

Die für Remarque ungewöhnliche Arbeitsweise an der Neufassung, die Das gelobte Land betitelt wurde, weist auf eine große Zeitnot des Autors hin. Beendete Remarque bei allen seinen vorhergehenden Romanen zunächst eine Fassung, ehe er sie korrigierte, so arbeitete er bei Das gelobte Land parallel an Teilen des Textes mit jeweils sehr unterschiedlichem Bearbeitungsstand.

Das Ende des Romans hatte Remarque nur in Notizen skizziert: die Rückkehr des Emigranten Sommer nach Deutschland, die Rache an dem Mörder seines Vaters, die ihn als Verpflichtung am Leben gehalten hatte und an der er – wie die Notizen zeigen – scheitern sollte.

Das Motiv des Scheiterns, der vergeblichen Hoffnungen der Emigranten auf eine Rückkehr, ihr Zwischen-den-Kulturen-stehen und ihre Haltung des nicht Wahrhaben-wollens, dass mit der Emigration ein endgültiger Bruch mit der Vergangenheit und der früheren Heimat verbunden ist, stehen im Mittelpunkt des Romans, aus dem es keine Rückkehr gibt und das von einer Hoffnung zu einer Falle geworden ist, aus der nur der Tod befreit.

Mehr noch, Das gelobte Land erscheint voller Bezüge zu Remarques vorigem Werk und seinen Inhalten, als abschließendes, endgültiges Vermächtnis gedacht. Dies wird nicht nur daran deutlich, dass Ravic aus Arc de Triomphe (und darüber hinaus als Remarques fast gesamtes schriftstellerisches und privates Schreiben durchziehende Figur seit dem Roman Gam und in der Korrespondenz mit Marlene Dietrich) in New York auftritt, sondern auch in dem fast wörtlichen Zitat früherer Positionen des Autors, die hier revidiert werden.

Der Protagonist Sommer ist in Das gelobte Land wohl nicht das Sprachrohr des Autors, sondern die Figur, an der Remarque frühere Positionen abarbeitet und neue entwirft. Der Glaube an die Möglichkeit der Rache und damit der Wiedergutmachung hält Sommer am Leben; einer Rache, die Ravic in Arc de Triomphe an dem Nazi Haake bereits vollzogen hatte und auch noch vollziehen konnte, ohne etwas ändern oder bewirken zu können.

Die Kontrastierung der Emigrantenschicksale mit der Kunst, die sowohl im Kunsthandel eines Reginald Black profaniert wird, zugleich aber auch die Möglichkeit zur kontemplativen Versenkung bietet, ist ein weiteres Beispiel für die Überwindung und Neuformulierung früherer Positionen des Autors. Wieder gibt Arc de Triomphe und zum Teil auch Liebe Deinen Nächsten die Folie ab: Dort diente der Besuch des Louvre und speziell die Betrachtung der Nike von Samothrake noch zur Festigung der eigenen Position in der Verfolgung, zum Nachweis der Kultur und des Menschseins des Emigranten; und auch für Ludwig Sommer erfüllte das Brüsseler Museum, das Abtasten der chinesischen Bronzen im Dunkel des Verstecks die Funktion der Vergewisserung der eigenen Existenz. In Figuren wie Durant II demonstriert der Autor dagegen die kontemplative Funktion der Kunst angesichts des historischen Mordens und der individuellen Vergänglichkeit: die Kunst als zwecklose Bewahrerin der Schönheit inmitten einer resignativ gewerteten Welt, deren zivilisatorische Werte in den Gräueln des Zweiten Weltkriegs untergegangen waren, widersprüchlich und grotesk geworden sind und nicht wiedergewonnen werden können.

Zweifellos ist der Fragment gebliebene Roman Das gelobte Land ein Vermächtnis. Mit allen Längen, motivischen Wiederholungen und dem Charakter eines ‘unfertigen’ Textes und auch mit der Ungewissheit, wie die Handlung des Romans sich in den noch folgenden, nicht mehr niedergeschriebenen Kapiteln entwickeln sollte, ist Das gelobte Land ein Kommentar seines Lebenswerkes angesichts des nahen, sicheren und bewusst gesehenen eigenen Todes.

Das gelobte Land erschien erstmals 1998 anlässlich des 100. Geburtstages des Autors. Übersetzungen in alle wichtigen Weltsprachen folgten; zuletzt in den 2010er Jahren ins Französische und Englische.

 

 

Weiterführende Literatur

Studien und wissenschaftliche Aufsätze (chronologisch)

Marc Wilhelm Küster. »Die Manuskriptlage zu Remarques Schatten im Paradies«. Erich Maria Remarque Jahrbuch/Yearbook 5 (1995), 88–108.

Tilman Westphalen. »Nachwort. ›Alles war falsch. Ich muß noch einmal anfangen ... Und wir sind schon so müde‹«. Erich Maria Remarque. Schatten im Paradies. Roman. Mit einem Nachwort von Tilman Westphalen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1995 (KiWi 389), 495–512.

T[homas F.]S[chneider]. »Erläuterungen«. Erich Maria Remarque. Das unbekannte Werk. Frühe Prosa. Werke aus dem Nachlaß. Briefe und Tagebücher. Herausgegeben von Tilman Westphalen und Thomas F. Schneider. Vol. 2: Das gelobte Land. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, 433–442.

Tilman Westphalen. »Ein Tornister voll mit Blei«. Erich Maria Remarque. Schatten im Paradies. Roman. Mit einem Nachwort von Tilman Westphalen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998 (KiWi 481), 495–514.

Brian Murdoch. The Novels of Erich Maria Remarque. Sparks of Life. Rochester/NY, Woodbridge: Camden House, 2006, 129–158.

Katharina Schulenberg. »Perspektive Amerika? Vergangenheitsbewältigung vs. Zukunftspläne in den posthum veröffentlichten Romanen Das gelobte Land und Schatten im Paradies«. Erich Maria Remarque Jahrbuch/Yearbook 16 (2006), 34–89.

Tilman Westphalen. »Illusion der Emigranten: Vergessen und neu anfangen. Nachwort«. Erich Maria. Das gelobte Land. Roman. Mit einem Nachwort von Tilman Westphalen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2010 (KiWi 1189), 423–446.

Thomas F. Schneider. »›Nicht der Mörder, der Ermordete war schuldig‹. Zu Erich Maria Remarques nachgelassenem Roman«. Erich Maria Remarque. Schatten im Paradies (New York Intermezzo). Roman. In der Originalfassung mit Anhang und einem Nachwort herausgegeben von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2018 (KiWi 1634), 687–711.